Das Siegerland
Die ehemalige Bergbauregion Siegerland umfasste weite Teile des heutigen Dreiländerecks von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen. Das Verbreitungsgebiet der charakteristischen Siderit-Erzgänge markiert die eigentlichen Grenzen des früheren Erzreviers Siegerland-Wied.
Die heutigen Kreise Siegen-Wittgenstein und der Kreis Altenkirchen nehmen den größten Teil dieses Gebietes ein, aber auch Bereiche des südlichen Sauerlandes, des Bergische Landes, des hessischen
Lahn-Dill-Kreises, des Hohen Westerwaldes sowie des Ober- und Niederwesterwald gehören dazu.
Mit den Kelten kamen die ersten Berg- und Hüttenleute in der sogenannten Laténe-Zeit (ab 500 v. Chr.)
in dieses Gebiet. Überall gab es leicht aufzusammelndes oder zu erschürfendes Eisenerz.
Wald, Wasser und Wind waren weitere im Überfluss vorhandenen Ressourcen, die sie für den Betrieb ihrer zahlreichen Schmelzöfen benötigten. Kurz nach der Zeitenwende verschwand diese Kultur wieder.
Erst in der Karolingerzeit, im 9. Jahrhundert, wurde das Siegerland erneut in stärkerem Ausmaß besiedelt.
Und wieder war es das Erz, das lockte – neben dem Eisenerz vor allem Silbererze. Lange Zeit sollten die wertvollen silberhaltigen Bleierze, Kupfererze und gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch Kobalterze von besonderem Interesse bleiben. Der Eisenerzbergbau war zwar in den folgenden Jahrhunderten mehr oder weniger ununterbrochen im Gange, nahm aber erst im 19. Jahrhundert mit der aufkommenden Industrialisierung enorm an Fahrt auf. Nach 1860 erfasste die industrielle Revolution das Siegerland dann mit voller Wucht: Die Eisenbahn sollte mehr noch als jede andere technsiche Errungenschaft des 19. Jahrhunderts die Entwicklung der Bergbauregion Siegerland-Wied revolutionieren.1861 erfolgte die Fertigstellung der Köln-Gießener Eisenbahnlinie mit Haltepunkt in Betzdorf sowie der noch wichtigeren Ruhr-Sieg-Strecke von Hagen nach Siegen. Bald darauf kam es auch zum Lückenschluss zwischen Betzdorf und Siegen. Der gesamte Siegerländer Eisenerzbergbau erlebte mit dem Anschluss an das preußische Eisenbahnnetz einen immensen Auftrieb. Durch Konsolidationen von Gruben entstanden bedeutende Großbetriebe, die um 1900 zu den größten Eisenerzgruben des europäischen Kontinents gehörten-führend auch in ihrer technischen Ausstattung. Doch mit zunehmender Teufe nahm auch die Sorge um die sich nach und nach erschöpfenden Erzgänge zu. Die Autarkiebestrebungen des Dritten Reichs, das nach Unabhängigkeit von ausländischen Ressourcen strebte, bewirkten zwar nochmals eine deutliche Steigerungen der Produktivität, aber Krieg und der unwirtschaftliche Raubbau hatten ihren Preis: Nach dem II. Weltkrieg lag auch Die Siegerländer Montanindustrie in Schutt und Asche, zahlreiche Vorkommen erwiesen sich als ausgebeutet. So waren in der Zeit des Wiederaufbaus nur noch wenige Gruben in Betrieb. Zwar waren diese Gruben zu Beginn der 1950er Jahre immer noch mit mehr als 11 % an der Gesamtleistung der deutschen Roherzförderung beteiligt, doch befanden sich die Schachtsümpfe bereits in über 1.000 m Teufe. Damit waren die Siegerländer Bergwerke mittlerweile praktisch viel zu tief, um gegenüber ausländischen Eisenerzlieferanten rentabel zu sein. Auch die Gründung der Erzbergbau Siegerland AG im Jahre 1953, unter deren Dach der gesamte Grubenbesitz rationalisiert und vereint wurde, zögerte das unausweichliche Ende nur noch heraus. 1965 erloschen die Lichter in den letzten verbliebenen Bergwerken Füsseberg/Friedrich-Wilhelm in Daaden-Biersdorf sowie Georg bei Willroth. Insgesamt wurden im Bergbaurevier Siegerland-Wied schätzungsweise rund 175 Mio. t Eisenerz gefördert. Daneben auch zum Teil nicht unbedeutende Mengen an Blei, Kupfer, Silber, Zink, Kobalt, Nickel, Quecksilber, Antimon und sogar etwas Gold.
Text: Markus Henrich, Kirchen im Jahr 2021
Der Siegerländer Bergbau sicherte für viele Menschen in der Region ihr tägliches Brot.
Belegschaft der Grubenschmiede Eisenzecher Zug bei Eiserfeld im Jahr 1900.
Archiv: Markus Henrich, Kirchen.
Belegschaft der Grubenbahn Grube Stahlberg bei Müsen um 1890.
Archiv: Henry Weskamp, Burbach.
Belegschaft der Grube Concordia bei Dermbach.
Archiv: Henry Weskamp, Burbach.
Bergleute mit Frosch. Grube Grüner Löwe bei Gosenbach. Sehr seltene Aufnahme.
Archiv: Henry Weskamp, Burbach.
Frauen- und Kinderarbeit
im Siegerländer Bergbau
Bild rechts: Alte Postkarte mit dem Wappen der Bergschule Siegen. Archiv: Josef Dreier, Herdorf.
Frauen- und Kinderarbeit
Frauen- und Kinderarbeit war im Siegerländer Bergbau weit verbreitet. Die soziale Not der Bergmannsfamilien führte häufig dazu, dass bereits Schulkinder auf den Halden mitarbeiten mussten. Mädchen und Frauen durften nur über Tage in den Aufbereitungsanlagen und den Halden arbeiten.
Vor allem die harte körperliche Arbeit aber auch die giftigen Schwefeldämpfe der Röstöfen führten zu schweren Gesundheitsschäden. Schutzkleidung war weitgehend nicht vorhanden. Die Jungen konnten hingegen ab dem 16. Lebensjahr eine Bergmannslehre beginnen.
Haldenjungen – Kinderarbeit im Bergbau des Siegerlands
In den Aufbereitungsanlagen über Tage und an den Scheidebänken arbeiteten hauptsächlich Frauen und Kinder. Hier wurde das Erz vom tauben Gestein, der sogenannten Berge, getrennt, bevor es zu den Röstöfen gebracht wurde. Bis zum Ende des Erzbergbaus im Siegerland und dem Westerwald wurde diese Arbeit auch weiterhin von Frauen und Jugendlichen verrichtet. Die Haldenjungen wurden zu einem Sinnbild der Kinderarbeit im Bergbau. Für einen geringen Lohn mussten diese das bereits aufbereitete Eisenerz aus den Röstöfen noch einmal aussortieren und das taube Gestein zur Halde bringen.
Die Arbeit der Haldenjungen unter den Röstöfen wurde wie Folgt beschrieben: „Der geröstete Eisenstein, den man dem Ofen entnahm, wurde auf einer etwa drei Quadratmeter großen Bodenfläche ausgebreitet, was mit der Schaufel geschah. Das Ganze wurde mit Wasser übergossen, und blank, bunt und schillernd lag alles, was kein Eisenstein war, vor den Augen. Nun hieß es mit schnellen Fingern das Wertlose vom Eisenstein trennen und fort zur Halde bringen.“
Haldenjungen auf der Grube Storch&Schöneberg bei Gosenbach um 1900.
Archiv: Horst Jentsch, Gosenbach
Kinder als Arbeiter auf der Friedrichshütte in Herdorf um 1925.
Archiv: Henry Weskamp, Burbach.
Vom Haldenjungen zum Bergmann
Während für Mädchen und Frauen die Arbeit über Tage die einzige Tätigkeit im Bergbau blieb, war es für die Jungen erst der Einstieg in die Bergmannsarbeit. Ein Haldenjunge, der 1924 sein Berufsleben begann, erzählte dazu: „meine Arbeitszeit betrug 12 Stunden, von morgens 6 Uhr bis abends 6 Uhr.
Zweimal gab es eine Viertelstunde Pause und mittags eine Stunde. Ich verdiente 1,20 – 1,50 Mark am Tag. Am Lohntag mußte ich dafür am Schalter noch die Mütze ziehen und „Dankeschön“ sagen.“
Zu der Arbeitszeit von 12 Stunden kam oft noch ein Anmarsch von 1-2 Stunden oder mehr hinzu.
Als Tagesverpflegung dienten den Bergleuten oft nur Brote mit Marmelade. Mit spätestens 16 Jahren begann für die meisten Jungen die Arbeit unter Tage. Als „Bergläufer“ bestand ihre erste Aufgabe zunächst darin, die Abbaue wieder mit taubem Gestein, der Berge, zu verfüllen. Als „Steinläufer“ fuhren sie dann die Erzwagen von den verschiedenen Abbauen zum Schacht. Beim Abteufen von neuen Schächten fuhren die „Förderjungen“ auf den Sohlen das erforderliche Material heran. Aus der Stammrolle der Grube Glücksbrunnen von 1906 bis 1915 geht hervor, dass 93 von 352 Arbeitern zwischen 14 und 17 Jahren alt waren. Dies macht deutlich, dass auf jeden gelernten Bergmann mehrere ungelernte und somit billige Hilfskräfte kamen.
Das Verbot der Kinderarbeit
Die bittere Not der Bevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten bot den Menschen oft keine Alternative zu der Arbeit als Bergmann. Kinderreichen Familien fehlte es meist am Lehrgeld für klassische Handwerksberufe wie z.B. Zimmermann. Die Kinder mußten so schon früh für den Lebensunterhalt mitsorgen und begannen schon ab dem 10. Lebensjahr mit dem Arbeiten. Kinderarbeit unter Tage war bereits früh verboten worden. Die Kinderarbeit über Tage wurde hingegen erst am 18. Oktober 1854 in einer vom Königlich-Preußischen Bergamt zu Siegen weitergeleiteten Verfügung des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeit verboten. Hierin heißt es: „Nach den bisherigen Erfahrungen ist indessen bereits als feststehend anzunehmen, daß jugendliche Arbeiter vor dem vollendeten 16. Lebensjahr in die Gruben (unter Tage) nicht ohne Nachteil für ihre Gesundheit beschäftigt werden können. Auch ist das sog. Haspelziehen und das Karrenlaufen auf ansteigenden Bahnen über Tage als schädlich für dergleichen jungendliche Arbeit zu bezeichnen. Wir bestimmen daher auf Grund des Paragraphen 10 des Regulations vom 9. März 1839 und des Paragraphen 10 des Gesetzes vom 16. Mai 1839, daß dergleichen Beschäftigung nicht weiter geduldet werden soll.“
„Erzengel am Leseband“ – Frauenarbeit im Bergbau
Frauen an den Verlesebändern. Grube San Fernando, Herdorf. Archiv: Henry Weskamp, Burbach.
In vielen Familien wurde die Arbeit in den Gruben über Generationen weitergegeben.
Nicht nur Jungen und Männer arbeiteten hier, sondern auch die Frauen und Mädchen fanden hier ihre Anstellung. Sie wurden landläufig „Erzengel“ genannt. Der liebevoll klingende Name steht jedoch im starken Gegensatz zu der harten Arbeit und auch der sozialen Ausgrenzung. Die Schwefeldämpfe, die beim Rösten des Gesteins frei wurden, wirkten sich zum Teil verheerend auf die Gesundheit der Arbeiterinnen aus. Josef Hoffmann beschreibt in seinem Buch „Der Ewige Bergmann“ die Frauen wie folgt: „Diese Haldenmädchen (und Frauen) arbeiteten nach oft mehrstündigem Anmarsch bei Wind und Wetter und ohne Gebäudeschutz zwölf Stunden bei den Röstöfen, entfernten aus dem gerösteten Erz das taube Gestein, beluden die Loren und drückten sie an die vorgeschriebenen Stellen. Von Kopf bis zu den Füßen eingerußt, den Anstrengungen keineswegs gewachsen, von Männern beaufsichtigt, den kargen Verdienst zuweilen durch Überschichten erhöhend, waren sie vor allem auf dem oft sehr weiten Heimweg fast unverständlichen Belästigungen ausgesetzt, dies vor allem durch die Schimpfnamen „Glanzdam“ („Glanz“ eine Erzart), „Roostmoggn“ („Moggn“ harter Stein), beziehungsweise „Halmoggn“; dieser Ruf begleitete die Mädchen, wo immer sie sich blicken ließen, wobei es auch nicht selten zu harten Anremplungen vielerlei Art kam. Trotzdem waren sie ein oft genug auch fröhliches Völkchen, das sich seiner Haut zu wehren wußte, gerade auch gegenüber sittlichen Belästigungen.“
Verfasser: Christoph Eul, Nauort.